12 | Lernorganisation

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Die digitalen Medien erweitern das Spektrum wesentlich, wie wir Lernen organisieren können. Die traditionelle Unterrichtssituation bezieht sich auf einen Unterricht, der zu einem Zeitpunkt an einem Ort mit einer definierten Anzahl an Teilnehmenden stattfindet. Mit Medien können wir in dieser Konstellation arbeiten, aber es eröffnen sich auch ganz viel andere Varianten, das Lernen zu organisieren. Deswegen kommt dem didaktischen Entscheidungsfeld “Lernorganisation” in der Mediendidaktik eine besondere Bedeutung zu: Wir unterscheiden die soziale, räumliche und zeitliche Organisation. Michael Kerres

In dem Video erläutert Tanja Adamus (FernUniversität in Hagen, früher am Learning Lab der Universität Duisburg-Essen) die Lernorganisation mediengestützter Lernangebote:

Soziale Lernorganistion

Bei Lernaufgaben lassen sich Einzel-, Partner- und Gruppenaufgaben voneinander unterscheiden.

Bei einer Einzelaufgabe bearbeiten die Lernenden die Lernaufgabe selbstgesteuert sowie zeit- und ortsunabhängig. Bei der Gestaltung einer Einzelaufgabe können die individuellen Bedürfnisse, Interessen und Lernvoraussetzung der Lernenden berücksichtigt werden. Jedoch entfällt bei der individuellen Bearbeitung einer Lernaufgabe die Gelegenheit zum Austausch zwischen den Lernenden und dadurch die Auseinandersetzung mit anderen Meinungen und Perspektiven. Einzelaufgaben eignen sich vor allem zur Aktivierung und zur intensiven Auseinandersetzung mit Lerninhalten, die nicht zwingend einen Austausch mit anderen Lernenden erfordern, und zur individuellen Lernkontrolle.

Eine kooperative Bearbeitung einer Lernaufgabe kann entweder in einer Kleingruppe oder im Rahmen eines Lerntandems bzw. einer Partnerarbeit erfolgen. Eine Gruppen- oder Partneraufgabe ist so zu konstruieren, dass ein Mehrwert durch das gemeinsame Arbeiten entsteht. Ein bloßes Aufteilen von Teilaufgaben auf verschiedene Lernende sollte vermieden werden, denn ein wesentliches Ziel der Bearbeitung von Gruppen- und Partneraufgaben besteht in den kommunikativen Aktivitäten und dem intensiven Austausch zwischen den Lernenden, um die Positionen anderer wahrzunehmen, auf diese einzugehen, alternative Positionen zu vertreten, Meinungen Anderer aufzugreifen und zu einem Ganzen zusammenzuführen. Gerade netzbasierte Gruppenarbeit ermöglicht kooperatives Lernen über große Distanzen hinweg, wodurch ein Austausch zwischen Gruppenmitgliedern aus unterschiedlichen Ländern und dadurch verschiedenen Kulturen, Sprachen und Einstellungen ermöglicht werden kann. Bei der Bearbeitung von Lernaufgaben in Partnerarbeit ist der Koordinationsaufwand, aber auch die Möglichkeit, sich untereinander auszutauschen, geringer.

Präsenz oder Online? Die Begegnung von Menschen in einem Raum ist unvergleichlich – dies wird von Kritikern des digitalen Lernens häufig betont. Doch die Bedeutung von Präsenz wird in der mediendidaktischen Planung gar nicht infrage gestellt, sondern als wichtiges Element in Betracht gezogen. Allerdings stellen wir die Frage, wie die Chancen der Präsenz tatsächlich erfahrbar werden und wo mediengestützte Elemente diese Erfahrung unterstützen können! Michael Kerres

Präsenzveranstaltung

Anders als teilweise vermutet, spielt das persönliche Treffen, face-to-face, bei mediengestützten Lernangeboten eine große Rolle. Die Begegnung in einem Raum, in der sich Menschen persönlich austauschen, ist von großer Bedeutung. Allein: Diese Besonderheit der Präsenz muss auch erfahrbar werden, das didaktische Konzept muss diese Chancen von Präsenz auch herausarbeiten. Wenn wir in Präsenzveranstaltungen primär Vorträge vorsehen, werden diese Chancen vertan.

Die Präsenzveranstaltung kann etwa folgende Elemente betonen:

  • Verhaltenstrainings mit persönlichen Rückmeldungen, wie z.B. in Rollenspielen
  • Übungen an Maschinen, wie z.B. in einer Produktionsanlage
  • Gespräche der Teilnehmenden untereinander, Gruppen- und Partnerarbeiten
  • Angebote zur Beratung von Tn
  • Feedbackgespräche zur Evaluation des Kursangebotes
  • Durchführung von Prüfungen, einschl. von Präsentationen

Online-Elemente

Die Online-Elemente eines Lernangebotes kann synchrone Veranstaltungen (etwa per Videokonferenz) oder asynchrone Elemente.

Asynchrone Elemente sind dann vorzuziehen, wenn die zeitgleiche Kommunikation der Tn nicht notwendig oder vorgesehen ist, also z.B. bei der Präsentation von Lerninhalten (wie z.B. Vorlesungen, Vorträge, Referate). Asynchrone Darstellungen sind zeitlich flexibel abzurufen und sollten damit mehr Lernintensität erzielen.

Synchrone Elemente müssen auf die Kommmunikation und nicht auf die Präsentation fokussiert werden. Alle Elemente des Gesprächs, des Austauschs und der Interaktion sind in den Vordergrund zu stellen. Die zeitliche Erstreckung ist deutlich niedriger anzusetzen als in Präsenzterminen, da die Anstrengung und Ermüdung wesentlich höher ist.

Hinweis: Häufig wird der Fehler gemacht, Vorträge aus Präsenzveranstaltungen 1:1 in einem synchronen Live-Event zu übernehmen. Dabei werden die Besonderheiten der Kommunikationssituation in der Videokonferenz nicht hinreichend beachtet und es kommt, nicht selten, zu Unzufriedenheit sowohl der Referierenden als auch der Rezipierenden.

Ungetaktete Lernangebote werden zu einem bestimmten Zeitpunkt vollständig freigeschaltet. Für ein weitgehende selbstgesteuertes Lernen kann diese Variante vorgezogen werden. Die Tn bevorzugen in der Regel eine solche ungetaktete Bereitstellung. Allerdings hat dies deutliche Einschränkungen bei der didaktischen Methode zurfolge. Der Lernprozess in einer Gruppe kann nicht gesteuert werden, d.h. Partner- oder Gruppenaufgaben sind nicht gut zu organisieren. Synchrone Events sind problematisch, da die Tn regelmässig an unterschiedlichen Themen arbeiten.

Getaktete Lernangebote werden in bestimmten Abständen freigeschaltet. Die getaktete Freigabe ist notwendig, wenn soziale Lernprozesse angestrebt werden, etwa um bestimmte Lehr-Lernziele zu erreichen. Die Taktung sollte in der Regel 2-3 Wochen umfassen. Die Taktung im Abstand von einer Woche ist vielfach schwer umzusetzen, da die Tn private und berufliche Verpflichtungen haben, die sich mit dieser Regelung schwer vereinbaren lassen.

Zeitanteile

Jedes Lernangebot kann beschrieben werden durch die Zeitanteile, die die Person mit der Content-, Communication- oder Construction-Komponente verbringt.

  • Content: Die Person beschäftigt sich mit vorgegebenem Lernmaterial: Rezeption von Texten, Videos etc.
  • Communication: Die Person tauscht sich mit anderen aus.
  • Construction: Die Person bearbeitet eine Lernaufgabe und erzeugt ein (digitales) Material (“Artefakt”).
(vgl.Kerres & de Witt, 2002)

Beitrag zur Lehr-Lernzielen

Jede Komponente trägt auf eigene Weise zur Erreichung unterschiedlicher Lehr-Lernziele bei:

  • Content trägt vor allem zur Vermittlung von Wissen bei.
  • Communication fördert die Entwicklung von Einstellungen und trägt zur Entwicklung sozialer Kompetenzen sowie Kommunikationsfertigkeiten bei.
  • Construction trägt zur Entwicklung von Fertigkeiten, aber auch Einstellungen bei.

Wenn wir wissen, wieviel Zeit in einem bestimmten Lernangebot mit den unterschiedlichen Lernaktitiäten verbunden ist, können wir die Anteile den zuvor benannten Lehr-Lernziele gegenüberstellen. Auf diese Weise lässt sich prüfen, ob es plausibek ist, dass sich die angestrebten Lehr-Lernziele mit dem didaktischen Konzept erreichen lassen.

Beispiel

Das folgende Beispiel bezieht sich auf ein Lernangebot, das insgesamt auf etwa 120 Minuten Lernzeit angelegt ist.

Was ist die Lernzeit?
Die Lernzeit von ca. 120 Minuten ist eine Schätzung. In der Praxis erleben wir eine große Streuung. Manche Personen werden keine Stunde mit der Aufgabe verbringen, andere werden mit zwei Stunden nicht auskommen. Für die Planung ist ein durchschnittlicher Wert anzunehmen: Wieviel Zeit wird die Person sich vermutlich mit dem Lernangebot auseinandersetzen, um das Lehr-Lernziel zu erreichen?
In dem Beispiel verbringt die Person jeweils ein Drittel der geschätzten Lernzeit von 120 Minuten mit
  • der Rezeption vorgegebenen Lernmaterials (40 Minuten),
  • mit der Kommunikation mit anderen Tn und der Dozentin (40 Minuten) sowie
  • der Bearbeitung einer Lernaufgabe, bei der ein digitales Dokument anzufertigen und einzureichen ist (40 Minuten).
    Gibt es eine ideale Aufteilung?
    Nein, die Aufteilung der Zeitanteile muss mit den Lehr-Lernzielen übereinstimmen. Es gibt keine grundsätzliche Empfehlung für eine Drittel-Aufteilung, oftmals ist es aber günstig wenn die Lernzeit nicht nur einer Komponente zugewiesen wird.

    Übung zum 3C-Modell

    In der folgenden Übung gibt es mehrere Arbeitsschritte. Zunächst betrachten wir die Lehr-Lernziele eines Studienmoduls, danach schätzen wir die Lernzeit und schließlich betrachten wir die Zuordnung der Lernzeiten zu den drei Komponenten – mit dem Ziel abzuschätzen, ob die Anteile mit den zuvor benannten Lehr-Lernzielen übereinstimmen. Es geht also um die Prüfung, ob ein geplantes Lernangebot die Lehr-Lernziele voraussichtlich wird einlösen können.

    Bestimmung der Lehr-Lernziele

    In einem Modulhandbuch zu einem Studiengang der Erziehungswissenschaften finden Sie folgende Angaben zu Lehr-Lernzielen in einem Modul “Didaktik”:

    • Die Studierenden verstehen die Grundlagen der Didaktik und können diese anwenden.
    • Die Studierenden setzen sich kritisch mit verschiedenen bildungs- und Lerntheoretischen Positionen auseinander und können eine eigene Position formulieren.
    • Die Studierenden sind in der Lage, ein didaktisches Konzept zu entwickeln.

    Bitte ordnen Sie die Lehr-Lernziele zu:

    Die Lernzeit umfasst laut Modulhandbuch 15 Online-Vorlesungen a 90 Minuten sowie jeweils 90 Minuten selbständiges Arbeiten. Die Dozentin bietet eine Online-Sprechstunde an, für die insgesamt max. 1 Stunde eingeplant werden könnte. In einem Online-Forum können sich die Studierenden austauschen. Auch hierfür würden wir aufgrund früherer Erfahrungen max. 1 Stunde vorsehen können.

    Es ergibt sich folgende Zuordnung der Lernzeiten:

    Template

    Zur Planung der räumlichen, zeitlichen und sozialen Organisation eines getakteten Lernangebotes können Sie das folgende EXCEL-Template nutzen.

    • Definieren Sie die Anzahl der Takte, die das Lernangebot ausmacht.
    • Kopieren Sie die Zeilen, die zu einem Takt gehören, für jeden Takt.
    • Wählen Sie für jeden Takt die vorgegebene Bearbeitungszeit aus.
    • Für jeden Takt entscheiden Sie, ob darin “Content, Construction, Communication” (3C) vorkommen. Löschen Sie ggfs. die Zeile, die nicht vorkommt. Kopieren Sie ggfs. eine Zeile, falls dazu mehrere Aktivitäten in einem Takt vorkommen.
    • Schätzen Sie die Lernzeiten für jede Aktivität ein. Das Chart sollte die Lernzeit entsprechend der drei Komponenten anzeigen.
    • Wenn Sie alle Eingaben getätigt haben: Prüfen Sie die Anteile der 3C und setzen Sie die Anteile mit den zuvor definierten Lehr-Lernzielen gegenüber! Erscheint es plausibel, dass die gewählten Anteile der Lernzeit die avisierten Lehr-Lernziele werden einlösen können?
    Lernorganisation - Template
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